Wilhelm Oberdieck                 In ein Album

fl. 1892

Wenn über Blumenau’n im Thalesgrunde,

Nach heißen Tages überstand’nen Mühen,

Der Weg uns führt, den wir durch’s Leben ziehen,

Da weilen gern wir eine sel’ge Stunde.

 

Und wenn das Schicksal dann mit ehr’nem Munde

Das kann genoss’ne Glück gebeut zu fliehen

Nach kurzer Rast, die es uns spät verliehen:

Da klagt das Herz in Wehmuth ob der Kunde.

 

So war auch mir’s, da mich in diesen Tagen

Das Schicksal riß von nicht geahnten Freuden –

Warum? wohin? nicht kann ich Antwort sagen.

 

Doch der den Lenz in junge Rosen kleiden,

Und rufen wird der Nachtigall zu schlagen,

Der läßt uns wiedersehn, wovon wir scheiden.

 

 

 

 

Wilhelm Oberdieck                 Die Freunde

fl. 1892

Sie wissen’s wohl, daß sie nicht recht sich lieben;

Oft fühlten sie im Herzen selbst die Wunde,

Und oftmals hörten sie aus fremdem Munde:

Euch wird, wie Spreu, des Lebens Sturm zerstieben.

 

Und wieder dann, vom raschen Blut getrieben,

In heit’ren Schwärmens jugendlicher Stunde,

Verschworen sie sich, treu zu sein dem Bunde,

Solang ein Hauch dem Letzten sei geblieben.

 

O daß dem Drang sie folgten unverdrossen!

Doch ist ihr Geist dem eit’len Sinn ergeben,

Ihr Herz zu eng, und ihr Gemüth verschlossen.

 

Die Jugend flieht, und mit dem freien Streben

Und mit dem schönsten Glück, das sie genossen,

Begraben sie des Herzens Liebeleben. -

 

 

 

 

Wilhelm Oberdieck                 Ernst Schulze’s Grab

fl. 1892

Da ich durchwallt in diesen Wintertagen

Des Friedhofs schneebedeckte Gräberhallen,

Wie hat es mich erfreut, daß ich vor allen

Die deine sah ein blühend Röslein tragen.

 

Braucht es der Antwort, wenn wir zweifelnd fragen,

Ob mit des Liedes letztem Wiederschallen

Die Geister auch, ein Spiel der Lust, verhallen,

Braucht es der Wunder mehr, als dies, zu agen?

 

So ist die Rose, die im Schnee sich hält,

Mir deines Lebens ein verbürgtes Siegel,

Das ewig währt, ob auch die Hülle fällt.

 

Es sprengt das Lied der dunklen Pforte Riegel,

Uns Botschaft bringend aus verborg’ner Welt,

Und blüht als Rose auf des Grabes Hügel.

 

 

 

 

Wilhelm Oberdieck                 Aeolsharfe

fl. 1892

In mancher Brust wohl ruht die gold’ne Saite,

Die in sich trägt des Lied’s geheime Wogen;

Die jedem Reiz empfindlich angezogen,

Des Hauch’s nur harret, der darüber gleite.

 

Und sieh, da regt sich’s, wie zu holdem Streite!

Bald mild und stärker in der Leyer Bogen,

Wie Hauch des Frühling’s hör’ ich’s ziehn und wogen,

Und horch! zu Wunderklängen schwillt die Saite.

 

Doch ach! was ist’s, daß ungestüm und bange

Der Ton erbebt, und rauscht die Luft, die linde?

Der Zephyr wächst zu wilden Sturmes Drange.

 

Ob auch der wunderbare Ton nicht schwinde,

Wohl lausch’ ich ängstlich nach dem letzten Klange –

Die Leyer doch, sie ist verstummt im Winde.

 

 

 

 

 

Wilhelm Oberdieck                 Nachruf

fl. 1892

Die Stätte, da du weiltest, ist nun leer!

Du gingest fort aus den gewohnten Räumen

Und ewig schloß mit deines Grabes Säumen

Sich auch die Pforte deiner Wiederkehr.

 

So manches Zeichen seh’ ich ringsumher

Der Bilder, die wir einst in Liebesträumen

Uns ausgemalt mit unsrer Hoffnung Schäumen –

dein Bild allein – ich find’ es nimmermehr.

 

Noch steht der Sessel, der so oft das Glück

Des traulichsten Vereines uns geliehen,

Nach manchen Tags mißgünstigen Geschick.

 

Noch einmal will ich vor ihm niederknieen,

Als säßest du noch dort mit sanftem Blick –

Und dann auf ewig diese Stätte fliehen.